Dieses Buch beinhaltet die Erzählungen von Stephanie, die miterleben musste, wie ihr geliebter Bruder am Leben zerbrach. Jaques verlor mit dem Tod seiner Frau auch sein Erinnerungsvermögen. Kerstin wurde in jungen Jahren zur Vollwaise und das veränderte ihr Leben, aber nicht ihren Tod.


Leseprobe:


Stephanie Küster

 

Unsere Eltern waren Alkoholiker, dadurch mussten mein Bruder Martin und ich schon früh für uns allein die Verantwortung übernehmen. Wir lernten das wahre Leben kennen und zogen schnell aus, nachdem wir volljährig waren.

Wie das Schicksal so spielt, bestraft es nicht jeden gleich hart. Martin traf es sehr schwer, denn das Leben wurde für ihn zu einer Strafe. Während es mich stärker machte, versank er in einem Dschungel, den er später mitsäte und sprach oft von Selbstmord. Ich wollte davon nichts hören, nahm aber seine Drohungen ernst und bat ihn, bei mir zu wohnen. Ich wollte ein Auge auf ihn haben und ihn beschützen. Ich wollte ihn nicht auch noch verlieren, so wie meine Eltern, zu denen der Kontakt starb. Leider konnte ich ihn nicht von früh bis abends bewachen und er signalisierte mir Stück für Stück, dass unser Zusammenleben ihn glücklich machte. Das glaubte ich ihm nur teilweise. Mit Gesprächstherapien versuchte er die Vergangenheit zu verarbeiten. Unser Vater nahm ihm immer hart in die Mangel, wenn er soff und zerstörte sehr viel in Martin. Ich musste immer dabei zusehen...

Für mich waren Therapien nichts, ich wollte nur vergessen und tat das auch perfekt. Nur selten jagten mich Alpträume und erinnerten mich kurz an jene gleichen aus der Realität. Mein Leben war schön, ich fand einen Job als Bäckereiverkäuferin und wurde mit meiner besten Freundin glücklich. Martin durfte von Jessica nichts erfahren, denn er hätte – wie viele andere wahrscheinlich auch – unsere Liebe verunglimpft. Das machte unsere Treffen dann sehr schwierig, aber sie hatte viel Verständnis.

Es war ein Montag und ich freute mich darauf, an diesem freien Tag ausschlafen zu können. Martin schlief mit in meinem Schlafzimmer, weil in der Wohnung nur zwei Zimmer vorhanden waren. Sein Klappbett war an der Wand und wenn ich meine Augen öffnete, war er mein erster Blick. Es war noch sehr früh und ich wurde von Martins Husten geweckt. Es schien, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich hinsehe. Er stand auf seinem Bett, lächelte und sprang seitwärts zu Boden. Ich begann zu schreien. Was machte er da? Er blutete stark im Gesicht. Unter seinem Kopf lag ein gläserner, scharfkantiger, kleiner Kasten, der zur Hälfte zersprungen war. Er wollte mit einem gezielten Sprung darauf sein Genick brechen, verfehlte es aber.

Ich rief den Krankenwagen und saß fassungslos in seine Blutlache. Taschentücher zogen seine blutende Gesichtshälfte wie ein Schwamm auf. Ich sah so etwas noch nie zuvor und das hatte bei meiner Kindheit schon etwas zu bedeuten.

Ich fuhr im Krankenwagen mit und bei einer Notoperation versuchten die Ärzte sein linkes Augenlicht zu retten – sie schafften es aber nicht.

Da saß er dann die nächsten Wochen in meiner Wohnung ... schweigsam und in sich gekehrt. Ich wollte ihn nicht mit Vorwürfen belasten, obwohl mein Kopf voll davon war. Was dachte er sich dabei? Warum bei mir? Warum tat er mir das an? Wieso sollte ich dabei zusehen? Ich blieb stark, auch wenn alles in mir vibrierte. Nach außen spielte ich die fürsorgliche, sich nichts anzumerkende Schwester. Innerlich brodelte ich von Tag zu Tag mehr und war glücklich, wenn ich auf Arbeit durfte. Die erste Zeit passte dann Jessica auf ihn auf, wenn es ihr zeitlich möglich war. Martin wurde das schnell zu doof. „Er sei ja kein Baby mehr“, beschwerte er sich bei mir. Also ließen wir ihn diesen Wunsch gewähren und ich wartete auf den Tag, an dem man mich anruft, um mir mitzuteilen, dass Martin tot sei ... dass sein Suizidversuch erfolgreich war. Ich wusste genau, dass es so kommen wird, und dass er es nicht noch einmal vor mir macht. Er wird sich etwas suchen, das nicht riskant ist ... etwas, bei dem es keine Überlebenschancen gibt.

Er verweigerte seine Therapie, auch wenn ich ihn darum bat. Dass er auf dem linken Auge erblindet war, machte ihn sehr wütend. Er war zornig auf die ganze Welt und in mir brodelte der Hass auf meine Eltern. Nur sie waren Schuld, dass er so war!


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