Der schwarze Planet 'Ampledusia', Seelen - Das eigentliche Sein Band 1 - Astrid Unger
 

Auf einem dunklen Planeten, der von Seelen bewohnt wird, erwacht Aana und soll ihrem Erschaffer Liebe beibringen. Schnell stellt sie fest, wie kompliziert das ist. Denn er scheint dafür ungeeignet und ihre Seele muss als erste Erfahrung Leid lernen.

 


*** Aufgrund der vielen Szenen über Leid, ist dieses Buch nichts für zarte Nerven! Wen dieses Thema dennoch interessiert, sollte sich lieber Band 2 widmen. Denn den schrieb ich so, dass man es auch verstehen kann, ohne Band 1 gelesen zu haben. ***

 

Aana erwacht in einer dunklen Welt. Noch ahnt sie nicht, welches Schicksal auf sie wartet. Vor ihr kniet ein Mann: „Ich habe dich erschaffen … zeige mir, was Liebe ist.“ Schnell stellt sie fest, dass dies nicht so einfach ist, wie er glaubt – denn seine Seele hat mehrere Seiten. Sie selbst weiß nichts über sich und geht einen langen Weg voller Schmerzen und Leid … mit wenig Aussicht auf Licht oder Liebe.

 

 

Leseprobe



Kapitel 1

 

Ich öffne meine Augen und die Sicht ist verschwommen. Es ist ein sonderbares Gefühl, so, als würde ich es zum ersten Mal machen. Über mir gebeugt, erkenne ich die Umrisse eines Mannes. Seine langen, schwarzen Haare kitzeln mein Gesicht. Er nimmt sie und bindet sie sich nach hinten zusammen. Ich beobachte ihn dabei und spüre mit meinen Händen die kalten Steine, auf denen ich liege. Ich öffne meinen Mund und versuche etwas zu sagen, doch nur einfache Wortlaute verlassen ihn.

Langsam wird meine Wahrnehmung besser, der Mann schaut mich an. Er hat wunderbare, blaue Augen. Kleine schwarze Kristalle springen von rechts nach links. Es fühlt sich an, als würde ich zum ersten Mal denken und ihn zum ersten Mal sehen … Was ist ein Kristall?

„Mein Name ist Abial“, sagt er leise. Ich möchte ihm darauf antworten und viele Fragen bilden sich in mir, doch ich bekomme wieder kein Wort heraus. „Sage nichts, höre mir erst zu.“ – Ich blinzle darauf mit den Augen. „Mein Name ist Abial“, wiederholt er, „dein Name ist Aana, ich habe dich soeben erschaffen.“ Ich begreife nicht, wovon er spricht. „Es ist ganz einfach eine Seele zu erschaffen … ich dachte es wäre schwieriger.“ Er lacht. „Ich nahm ein Stück meiner Seele … diese vermehrte sich. Dann steckte ich sie in diese Körperhülle und erschuf dich so daraus.“

Bewundernd lächelt er mich an. „Meine Mutter ist bestimmt stolz auf mich, viele andere produzieren nur Hohlkörper, aber in Dir steckt viel drin … viel Wissen und LIEBE – Ich habe schon so viel davon gehört. Ich will, dass du sie mir beibringst!“

Ich schaue von ihm weg und sehe mir die Umgebung an. Alles Steine, egal wohin ich blicke. Der Raum ist grau und leer. „Ruhe dich erst einmal aus.“ Er legt sich neben mich und schließt seine Augen. „Morgen wird dein erster Tag. Ich hoffe, es gefällt dir hier. Na ja wahrscheinlich nicht, aber da musst du jetzt durch.“ Ich schließe meine Augen und drehe mich zu ihm auf die Seite. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, denn ich spüre meinen ganzen Körper zum ersten Mal.

Plötzlich knallt es laut. Ich erschrecke und öffne meine Augen. Abial streckt sich genüsslich neben mir und schaut mich an: „Wahnsinn, du bist keine Einbildung … wie hast du denn geschlafen?“ Ich beginne zu zittern, mein ganzer Körper vibriert. „Hast du dich erschrocken? Das war nur ein Knall gegen die Tür – das Zeichen zum Aufstehen.“

„Ich mag es nicht“, sage ich vorsichtig.

Er lächelt: „Du kannst wirklich sprechen? Ich war mir nicht sicher! Dann kannst du jetzt bestimmt auch aufstehen!“ Er steht auf und streckt mir seine Hand entgegen. Ich umfasse sie und er zieht mich ruckartig hoch. Meine Beine wackeln, es ist so ungewohnt. Ich bekomme Angst, weil ich denke, dass ich wieder umfalle. Er stützt mich und hilft mir so. „Das klappt gleich besser. Komm, wir versuchen zu laufen.“

Er macht kleine Schritte vor und zieht mich hinterher. Ich traue mich nicht, irgendetwas an mir zu bewegen. „Du musst deine Füße heben, sonst funktioniert das nicht“, ermahnt er mich. Dabei lächelt er mich ermutigend an, also versuche ich es. Schritt für Schritt funktioniert es besser. Dann lässt er mich los und ich laufe meine ersten Schritte alleine. Es ist ein sagenhaftes Gefühl. „Komm wir müssen los.“

„Wohin?“, frage ich.

„Das wirst du gleich sehen.“ Er läuft zu der Tür aus Stein und öffnet sie. Ich schaue vorsichtig hinaus und sehe viele Geschöpfe. Einige ähneln Abial, viele sehen ganz anders aus.

Ich möchte mein Zimmer nicht verlassen, aber Abial packt meinen Arm und zieht mich hinaus. Dann läuft er einfach los und ich folge ihm ganz dicht, denn ich will ihn nicht verlieren. Dabei blicke ich mich vorsichtig um. Wir laufen durch einen breiten Gang, überall sind nur Steine. Abial redet ab und an mit einigen Seelen und läuft dann immer schnell wieder weiter.

„Hey! Wer bist du denn?“ Ich werde gestoppt, weil irgendjemand meinen Arm festhält. Geschockt schreie ich auf und errege damit Abial`s Aufmerksamkeit.

„Sie gehört zu mir, lass sie los!“

„Die hat so widerliche, blaue Augen, die will ich gar nicht!“ Dabei schaue ich dem Mann kurz in seine Augen – sie sind tiefschwarz und ein unbekanntes Gefühl steigt dabei in mir auf. Er stößt mich weg und ich stolpere zu Abial. Ich greife nach seiner Hand und wir laufen weiter.

„Du musst hier aufpassen, halt dich einfach an mich.“ Darauf kann ich nur nicken und das Gefühl verflüchtigt sich wieder. Endlich betreten wir einen Raum. Er ist hell erleuchtet. Wovon auch immer. Denn wieder sind überall nur Steine.

„Setz dich dort hin.“ Abial zeigt auf einen leeren Stuhl in der Mitte des Raumes. Jetzt erst sehe ich die vielen Stühle mit den kleinen Tischen davor.

Der Raum füllt sich langsam mit anderen Seelen. Neben mir setzt sich eine Frau mit braunen, traurigen Augen. Dann sieht sie mich an und beginnt zu lächeln. „Deine Augen sind so blau“, über diese Feststellung muss sie weinen.

Ich sitze da und überlege. Was meint Sie? Was hat das alles zu bedeuten? Warum bin ich hier? Wer bin ich eigentlich? Es gibt Erinnerungen in mir und auch Wissen, doch das fühlt sich seltsam an. Es gehört nicht zu mir.

Ein anderer Mann mit schwarzen Augen betritt den Raum und schließt die Tür hinter sich. „Hey Abial, hat es geklappt?“ Beide unterhalten sich angeregt, dann zeigt Abial auf mich.

„Abial hat dich erschaffen? Ich hätte nie gedacht, dass er das SO hinbekommt.“ Die Frau neben mir blickt entsetzt.

„Wie denn?“, frage ich verwirrt.

„Na so GUT!“, antwortet sie.

„Ruhe da hinten, jetzt beginnt der Unterricht … Iola, an die Wand mit dir!“ Die Frau neben mir erhebt sich langsam. Ich beobachte sie dabei – sie sieht ängstlich aus, ich verstehe es nicht. Warum? Der Mann kommt ihr entgegen und schlägt ihr ins Gesicht. „Iola! An die Wand mit dir, habe ich gesagt!“ Er wird zornig und schaut mich kurz an. Dann schubst er sie an die Wand. Ungläubig und erschrocken schaue ich dem Spektakel zu. Aber ich begreife nicht, was er mit ihr macht. Sie schreit und weint ... Ich schaue zu Abial und unsere Blicke treffen sich. Warum macht dieser Mann das mit ihr? Was hat das zu bedeuten?

Ich sehe mich um, alle haben ihre Köpfe gesenkt. Warum nur? Plötzlich knallt es laut und ich schaue wieder zu den beiden. Der Mann hält ein langes Seil und schlägt den Körper von Iola. Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen. Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll, aber ich fühle soviel Mitgefühl für sie. Iola liegt inzwischen bewegungslos auf dem Boden, aber er schlägt immer weiter.

Ich beginne zu weinen, weil ich es nicht begreife und stehe auf. Diese Sache muss beendet werden! Doch da werde ich runter gedrückt. Abial legt seine Hände fest auf meine Schulter. „Das geht uns nichts an!“, spricht er leise zu mir.

„Aber… “

Er unterbricht mich: „Sei still!“ Ich wische mir die Tränen aus meinem Gesicht und befolge seinen Rat.

Endlich hört der andere Mann auf sie zu schlagen. Er dreht sich begeistert um und fragt, „ob noch jemand will“?

Immer noch schauen alle nach unten und ich mache es ihnen schnell nach. „Können wir jetzt mit dem Unterricht beginnen?“, fragt Abial genervt.

„Ja Mann … DU gefällst mir mit den anderen Augen besser. Aber zum Glück ist die Zeit bald wieder vorbei!“, schreit der andere Mann ihn entgegen. Iola liegt am Boden und bewegt sich nicht.

Dann beginnt der Unterricht. Wir hören Geschichten, die dieser Mann – er nennt sich Zyrial – erlebt haben will. Ich kann ihm nicht zuhören und schaue nur zu Iola. Danach erklärt uns Abial Regeln, an die man sich besser hält. Ich höre kurz zu, aber es sind so viele, ich kann mir daher keine merken.

Plötzlich ertönt ein lauter Knall gegen die Tür. Die anderen um mich herum stehen vorsichtig auf und laufen zu der noch geschlossenen Tür. Zyrial öffnet sie und verlässt mit ihnen den Raum. Ich sehe zu Abial, er kommt langsam auf mich zu. „Der Unterricht ist zu Ende. Komm wir gehen.“

„Aber Iola?“ Ich zeige auf sie.

„Lass sie liegen!“

„Nein, das geht doch nicht!“ Ich stehe auf und gehe zu ihr. Der Anblick ist furchtbar, denn sie hat tiefe Einschnitte am Rücken. Dadurch schimmert ihre weiße Seele durch und verfärbt ihre Haut an vielen Stellen. Ich knie mich neben sie und rüttle an ihr. „Warum wird sie nicht wach?“

Er schüttelt nur den Kopf. „Lass sie einfach liegen, morgen geht es ihr wieder besser!“

„Aber … wir können sie doch nicht so liegen lassen … Wo ist die Kleidung, die ihre Haut bedeckte?“ Ich suche sie und halte nur zerrissene, schwarze Fetzen in der Hand. „Wo bin ich hier?“, frage ich verunsichert.

„Komm wir gehen!“ Er nimmt mir die Fetzen aus der Hand und legt sie über den geschundenen Körper.

Dieses Mal nimmt Abial meine Hand und wir laufen los. Ich schaue zurück zu der ruhenden Seele und spüre so viele Gefühle – alle auf einmal. Aber ich laufe mit ihm, bis wir wieder vor einer steinernen Tür halten. Er öffnet sie und wir treten ein.

Auch dieser Raum ist hell, obwohl er nur aus Steinen besteht. Auf dem Boden liegt eine dünne, blaue Decke. Ich laufe zu der Wand und berühre einen Stein. Er ist sehr kalt und hart. Verwirrt lege ich meinen Kopf gegen die Wand.

„Wie dein erster Tag war, brauche ich dich wahrscheinlich nicht zu fragen?“ Abial kommt auf mich zu und stellt sich neben mich.

„Nein das brauchst du nicht. Wird jetzt jeder Tag so?“ Er schaut mich nachdenklich an. Ich streiche mit meinem Finger auf einen Stein, einige Male von oben nach unten. Immer auf dieselbe Stelle … bis ein Strich auf dem Stein erscheint. „Das war Tag eins.“ Ich laufe zu der blauen Decke und setze mich auf sie.

„Furchtbar eure Räume, ich habe so ein schöne Bleibe.“ Ich verstehe Abial`s Worte nicht, zuviel Gedanken schwirren durch mein Inneres. Er setzt sich neben mich.

„Muss ich da noch einmal hin?“

Er nickt: „Jeden Tag, so wie ich auch. Jede Seele muss das, sie kann dadurch sehr viel lernen!“ Ich finde diese Vorstellung nicht schön, denn ich habe das Gefühl, dass dies nicht der richtige Grund ist, warum ich DA bin. Allerdings beruhigt mich die Tatsache, dass auch er da sein wird. „Erzähl mir, wie Liebe geht!“

Ich schaue ihn mit großen Augen an und schüttle den Kopf. „Ich weiß es nicht. Was – ist – Liebe?“

„Aber … ich habe dich damit gefüllt! Du hast schöne blaue Augen ... du musst es wissen!“ Er schaut mich eindringlich an.

„Ich weiß es wirklich nicht.“

„Na toll“, sagt er enttäuscht. „Ich dachte, du kannst mir zeigen wie Liebe funktioniert!“ Er steht auf und schlägt mit seiner Faust gegen die Mauer. Ich erschrecke vor seiner Reaktion. Plötzlich löst er sich auf und ist verschwunden.

„Wo bist du?“, frage ich in den leeren Raum. Aber es kommt keine Antwort. Ich sehe nur noch die vier Steinwände. In meinen Gedanken wiederholt sich das Geschehene immer wieder. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Ich lege mich hin und schließe die Augen.

Es knallt laut gegen die Tür, erschrocken springe ich auf. Wo bin ich, überlege ich: Ach so hier! Es klopft erneut gegen die Tür, dieses Mal aber leiser.

„Aana, Aana! Ich bin es Abial, kommst du?“ Ich öffne die Tür und schau ihn direkt in die Augen. Sie wirken nett und freundlich. Er lächelt mich an. „Wie hast du geschlafen?“

„Gut … bis zum Knall“, antworte ich. „Und du?“

„Was denn?“

„Na, wie hast du geschlafen? Wo warst du plötzlich? Warum warst du so komisch?“ Ich stelle ihn alle Fragen auf einmal und mir fallen noch so viel mehr ein.

Er stoppt mich, indem er seine Hand auf meinen Mund legt. „Ich habe gut geschlafen.“ Mehr sagt er nicht, sondern läuft einfach los. Ich schließe meine Tür und folge ihm. Wir betreten den Raum und mein erster Blick geht zu der Stelle, an der Iola lag, aber sie ist weg. Ich laufe zu meinem Stuhl, fixiere die Wand und den Boden. Wo ist sie hin, hat sie sich auch einfach aufgelöst? So viele Fragen, ich verstehe nichts mehr.

Wieder füllt sich der Raum mit Seelen. Plötzlich setzt sich Iola neben mich. Ihre Augen sehen furchtbar aus, aber ihre Körperhülle ist wieder heil.

„Wie geht es dir?“, frage ich vorsichtig. Sie schaut mich kurz an und reagiert nicht auf meine Frage. „Es tut mir leid … das war blöd von mir.“ Ich schüttle den Kopf und senke ihn zum Tisch, denn Zyrial betritt den Raum.

Wieder beginnt der Unterricht mit Geschichten und Regeln. Sie werden zum Glück wiederholt und ich versuche mir alles zu merken, doch ich schaffe es wieder nicht. Die Zeit verläuft ruhig, als es wieder gegen die Tür knallt.

Wir können den Raum verlassen und ich fühle Erleichterung von den anderen. Schnell laufe ich zu meinem Zimmer, weil ich den Gang nicht mag. Er ist mir zu voll von komisch aussehenden Seelen. Abial folgt mir. Ich gehe sofort zu dem Stein mit dem Strich und wiederhole den Vorgang. „Tag zwei?“, fragt er.

„Ja, genau.“ Lächelnd schaut er mit tief in die Augen. Ein warmes, kribbelndes Gefühl steigt in mir hoch und ich versuche zurück zulächeln. „Der Tag war besser, weil es Iola wieder gut geht. Erzählt ihr jeden Tag dasselbe? Es muss doch eintönig für euch sein, machst du das schon lange?“

„Ja, ich mache es schon sehr lange und nein, wir erzählen nicht jedes Mal das gleiche. Du musst besser zuhören, damit du davon lernst.“ Der zweite Strich erscheint auf dem Stein, neben dem ersten Strich. Die Tage wiederholen sich und einer gleicht dabei dem anderen. Langsam bekomme ich ein Gefühl dafür, wie es ist dort zu sein.

Ich habe Abial`s Rat befolgt und bei den Regeln besser zugehört. Es sind unzählige und eigentlich sagen sie nur eins aus, nämlich, dass wir gar nichts machen dürfen! Außer ihnen Folge zuleisten. Ich verstehe den Sinn davon überhaupt nicht und so sind sie für mich nur uninteressant und öde.

***

Der Unterricht ist gerade vorüber. Der 36. Strich bohrt sich in die Steinwand und Abial steht neben mir. Seine Augen haben sich verändert. Sie sind nur noch ein wenig blau, dafür werden die schwarzen Kristalle in ihnen immer größer. Ich mache mir Sorgen, denn irgendetwas beunruhigt mich daran.

Vorsichtig lege ich meine Hand auf sein Gesicht, er zuckt kurz, lässt es aber zu. Es ist merkwürdig, ihn so anzufassen. Ein neues Gefühl steigt in mir hoch. Ich genieße immer mehr seine Anwesenheit. „Ist das Liebe?“, frage ich ihn.

Dann legt er seine Hände auf mein Gesicht und das Gefühl verstärkt sich. „Ich weiß es nicht“, antwortet er. „Ich spüre etwas, dass ich so nicht kenne, ABER...“, er zögert.

„Was?“ Er verschwindet, löst sich wieder einfach auf. Verzweifelt schaue ich in meine leeren Hände, lege mich auf die blaue Decke und vergrabe mich in ihr. Ich schrecke auf, weil es laut gegen meine Tür knallt. Zitternd erhebe ich mich. „Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen“, spreche ich in den leeren Raum. Ich laufe zu dem Stein und mache den 37. Strich sofort.

„Aana, komm.“ Bei den Worten klopft es gegen die Tür.

Ich laufe zu ihr und freue mich auf Abial: „Hallo.“

Er schaut zu dem Boden. „Hey“, sagt er leise. Er geht wie immer vor und ich laufe ihm hinterher.

„Hey super, endlich bist du wieder da!“ Verschiedene Monster sprechen ihn an und sie klatschen sich immer wieder ab – Hand an Hand. Ich nenne sie Monster, weil Zyrial viel über sie spricht. Sie sind Bestandteil einiger Geschichten – die ich nicht verstehe – und er amüsiert sich immer sehr darüber. Auch Abial lacht mit. Die anderen Seelen im Raum machen es nicht.Ich spüre von ihnen nur Angst,doch ich habe Hoffnung. Denn das, was ich an meinem ersten Tag bei Iola sah, wiederholte sich nicht mehr.Endlich betreten wir den Unterrichtsraum und ich setze mich auf meinen Stuhl.

Zyrial betritt den Raum: „Abial, endlich habe ich dich wieder!“ Euphorisch umarmen sie sich. Als sie sich loslassen, schaut mich Abial an. Ich erschrecke, denn seine schönen, blauen Augen sind vollkommen verschwunden und haben sich tiefschwarz verfärbt. Ich sehe zu den anderen im Raum und spüre ihre Furcht, die sich immer mehr verstärkt. Warum ist das so? Ich möchte nicht darüber nachdenken und senke meinen Kopf.

Beide beginnen mit Geschichten. Sie erklären: „Wie man am besten jemanden quält und wo die Schmerzen am stärksten sind“! Ich möchte das gar nicht hören, denn es interessiert mich nicht. „Ihr glaubt uns das nicht? Du da an die Wand!“, brüllt Zyrial. Ich traue mich nicht hochzusehen. Meint er etwa mich? Niemand rührt sich.

„Hey, wie heißt du?“ Mit großen, schweren Schritten läuft er an mir vorbei. In mir rasen unzählige Emotionen.

„Aahh“, schreit eine weibliche Stimme hinter mir, dabei zucke ich zusammen.

„Wie heißt du?“

„Mari“, wimmert sie.

„Oh, was für ein schöner Name“, spottet er gehässig. „Findest du nicht auch, Abial?“

„Auf jeden Fall“, antwortet er lachend.

„Bitte, tut mir nichts“, fleht sie mit zarter, zitternder Stimme.

„Als ob wir schon jemals Jemanden etwas getan haben“, grölt Zyrial laut. „Außerdem bist du doch deswegen hier, oder? Du willst doch diese Erfahrung … Wo waren wir? … Ach ja, die Schmerzen“, fällt es ihm wieder ein. Er lässt Mari in Ruhe und geht wieder an mir vorbei. „Wenn man Jemanden wirkliche Schmerzen zufügen möchte, sollte man es nicht körperlich tun. Das macht zwar Spaß, aber es gibt noch etwas Besseres … Fällt irgendjemanden etwas ein?“

„Glaubst du wirklich, es getraut sich einer zu antworten?“, scherzt Abial und läuft mit durch den Raum. Dann bleibt er neben mir stehen. Ich erschaudere etwas, denn die ängstliche Stimmung im Raum macht mich total fertig. „Aana, fällt dir etwas dazu ein?“ Ich spüre seinen Blick und überlege, was ich machen soll. Dabei vergesse ich seine Frage und schüttle nur mit meinem Kopf. „Seelischer Schmerz ist der Wirkungsvollste“, beantwortet er die Frage.

„Wie funktioniert der?“, frage ich automatisch, dabei will ich es eigentlich gar nicht wissen. Diese Wissbegier der Seele ist für mich noch sehr ungewohnt.

„Oh, dein Neuzugang traut sich zu sprechen?!“ Zyrial kommt auf uns zu und hält dicht vor mir. „Mutig, wie heißt du noch?“

„Aana“, antworte ich leise und sehe weiter auf die Tischplatte. Er beugt sich zu mir herunter und sieht mir in die Augen.

„Du hast sie aber komisch gemacht … Warum?“

„Weißt du … sie ist mein erster Versuch. Ich muss noch üben.“ Ich spüre, wie Abial lügt.

„Vielleicht solltest du es beim nächsten Mal, nicht in deiner komischen Augenphase machen?“

„Ja da hast du recht, aber aus Fehlern lernt man.“

„Du könntest sie wieder vernichten?“ Ich verstehe nicht, was er meint. Mein fremdes Wissen in mir sagt, dass man keine Seele vernichten kann. Aber ich vertraue dem nicht. „Nein, ich werde sie behalten, irgend einen Sinn wird sie schon noch erfüllen!“, sagt Abial bestimmt und beendet so das Gespräch. „Los wir gehen die Regeln durch!“

„Das wird langsam langweilig“, bemängelt Zyrial. „Mir würde da etwas anderes mehr gefallen!“ In mir wird es ganz komisch, denn er steht immer noch neben mir.

Bitte, geh weg, bitte verschwinde. Ich spreche es mehrere Male in mich hinein. Zyrial legt seine Hand auf meinen Kopf, streicht mit ihr durch meine Haare und zieht an ihnen so sehr, dass ich ihn anschauen muss. Seine Augen sind so schwarz und alles an ihm sieht abstoßend aus. „Los an die Wand mit dir!“

Ich überlege, was ich jetzt machen soll? Auch um Gnade flehen wie Mari? Da zieht er mich schon hoch und schubst mich an die Wand.

„Sei lieb zu ihr … sie ist noch frisch“, lacht Abial von weitem. Ich schaue auf die Steine. Sie sind wie in meinem Zimmer und fühlen sich auch genauso an. Zyrial kommt zu mir. Ich überlege, ob ich auch so ende wie Iola?


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