*** ‚Wenn die Liebe mit dem Tod beginnt’ ist ein eigenständiges Buch und bildet den Abschluss von ‚Seelen – Das eigentliche Sein’. ***

Ein Traum … Ein Alptraum – Als zwölfjährige quälte er mich jede Nacht und hielt mein Leben jahrzehntelang fest im Griff, bis ich verstand, dass mehr, sehr viel mehr, dahintersteckte.
Skurrile Erlebnisse, Ängste, Zweifel und eine verzweifelte Todessehnsucht aus Liebe begleiteten mich und eröffneten mir einen Blick in eine andere Welt.
Eine Welt, von der ich nie zu glauben vermochte, dass sie wirklich existiert – Die Welt der Toten...

 

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Vorwort

 

Einige Menschen sagten mir: „es gäbe keine Geister, sie sind nur Auswüchse deines Gehirns. Einbildungen, Halluzinationen, die Nerven...“

Dennoch glauben viele Personen an Engel, allgemein das Übersinnliche. Viele Dinge prägen uns. Themen, die wir in Fernsehsendungen sehen und hören oder im Internet lesen – Erlebnisse, die wir nie wieder vergessen.

Doch was passiert, wenn Jemand ohne die ganzen menschlichen Reize auf etwas Andersartiges trifft? Etwas, für das es keine rationale Erklärung gibt?

„Zumindest jetzt noch nicht, Astrid“, würde mein Vati mahnend einwerfen, weil er jeden Aspekt logisch betrachtet und für den ALLES vernünftig erklärbar sein muss! Daher ist es für mich leichter, meine Erfahrungen als Fiktion zu deklarieren, auch um bestimmte Namen und Daten zu ändern.

Dennoch ist die Wirklichkeit oft unbegreiflich nahe, egal, wie fantasievoll sie auch erscheinen mag. Denn es ist schon ein seltsames Gefühl und sehr unangenehm, als siebenjähriges Kind, ein Streicheln zu spüren, obwohl dafür NIEMAND sichtbar zuständig ist.

Dazu kam ein wiederkehrender Alptraum mit zwölf Jahren, der mein Leben endgültig aus dem Gleichgewicht warf. Ich ging viele Jahre einen abstrusen Weg, verbunden mit der Liebe zu einem Toten und zweifelte ständig an meinem Verstand. Doch dann bekam ich von vielen Seiten Hilfe und die war keineswegs nur normalen Ursprungs … aber, was ist schon NORMAL?

 

 


Wie alles begann

 

Wir wohnten in einer kleinen Stadt, nahe der polnischen Grenze, in einem Hochhaus im achten Stock und genossen eine traumhafte Aussicht auf Wälder und Seen. Mein Zimmer war schlicht eingerichtet und die Wände zugeklebt mit Postern von einer Boyband, die zu dieser Zeit total ‚in’ war. Ich konnte es vom Flur aus betreten und es war ein Durchgangszimmer zu meinen Bruder, der immer noch drei Jahre älter ist.

An der rechten Wand stand ein großer, alter, brauner Schrank mit einem offenen Fach für den Fernseher. Daneben war ein schöner Holztisch, den mein Opa selbst anfertigte und auch meine Mutter schon in ihrer Kindheit benutzte. An der linken Wand stand mein Bett.

Auf dem Tisch stand ein kleiner Käfig mit meinem blauen Wellensittich. Er war handzahm und der Sonnenschein unserer Familie. Sprechen konnte er auch und am liebsten war ihm sein Name ‚Rambo’.

Es war eine kalte Novembernacht, als mich wieder derselbe Alptraum hochschrecken ließ. Ich wusste nicht, was er bedeuten sollte und das verwirrte mich sehr.

Zusammengekauert saß ich in einer Ecke eines großen Raumes, der grau und trostlos war. Der Boden, die Decke und die Wände bestanden aus einfachem Mauerwerk. Still beobachtete ich, wie ein paar Meter vor mir ein Mann von einem anderen gequält wurde. Gekettet an die Wand flehte er um Gnade. Seine Schreie waren schrill und laut und ließen meine Muskeln erzittern.

Der eine Mann, der den anderen schlug, hatte schwarze, lange Haare und brennende Augen. Ein bräunlicher Umhang bedeckte einen Teil seiner Haut. Auch diese schimmerte bräunlich und ich konnte sehen, wie sie Wärme abgab. Sie dampfte förmlich. Dieses ganze Geschehen verfolgte ich minutenlang.

Als es mir gelang aufzustehen, rannte ich schreiend und im Schockzustand auf die beiden Männer zu. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor und als ich kurz vor ihnen war, stieg eine riesige Flamme auf. Diese stoppte mich ruckartig und ließ mich kurzzeitig erstarren. Nachdem das Feuer verschwand war auch dieses Monster weg.

Der andere Mann lag bewusstlos auf dem Boden und war mit Blut überströmt. Ich kniete mich zu ihm und betrachtete ihn. Seine Augenlider waren dick und sein Mund stand noch vom schreien offen. Seine dunkelblonden Haare besaßen einen rötlichen Ton. Sie waren von seinem Blut gefärbt, welches sich auch auf dem Boden verteilte.

Behutsam streichelte ich sein Gesicht und zog meine Socken aus um seine Blutungen zu stillen. Es war komisch, denn überall worüber ich strich, schlossen sich die Wunden. Jedes Mal verarztete ich ihn und schaute ihm ins Gesicht. Er war mir menschlich fremd und dennoch überaus vertraut.

 

Geschockt wurde ich immer an dieser Stelle wach und versuchte mein Leben normal weiterzuleben, so wie es eben ein Mädchen im Alter von zwölf Jahren machte. Ich las gerne Jugendzeitschriften und durchblätterte sie wissbegierig nach meiner Lieblingsband, bis ich eines Tages auf der letzten Seite über einen kleinen Beitrag stolperte.

Mein Herz begann schneller zu schlagen. Dort war ein Bild von einem Mann, der dem verletzten Mann in meinem Traum stark ähnelte. Aufgeregt las ich mir den kurzen Artikel über ihn durch. Sein Name war Manuel Smith. Ein Entertainer, der unter tragischen Umständen zwei Jahre zuvor starb.

Der Traum wiederholte sich in der folgenden Nacht und ich kurierte ihn wieder mit meinen Socken. Dabei betrachtete ich sein Gesicht. Mein Mund und meine Augen öffneten sich bis zum Anschlag und voller Panik krabbelte ich zurück zu meiner Ecke. Tränen kullerten an meinen Wangen herunter, schlugen auf den Boden und zerschellten in viele Einzelteile. Schluchzend schüttelte ich den Kopf, während unzählige Emotionen durch meinen Körper rasten und sich mit der Angst vermischten.

„Was soll ich hier? Warum träume ich das? Wieso liegt er dort?“ Tausend Fragen sprudelten aus mir heraus und suchten nach einer Antwort. Alles kam mir so real vor – war es wirklich ein Traum? Meine Augen wanderten durch den Raum, von Wand zu Wand, doch ich konnte keine Tür sehen. Verzweifelt hämmerte ich mit meinen Händen gegen die Mauer.

„Ich will hier raus, warum wache ich nicht auf?“, schrie ich, bis meine Stimme leise wurde und ich zusammensackte. Unter Tränen brach ich zusammen und lag flach am Boden.

Nachdem ich dies mit 28 Jahren niederschrieb kam es mir vor, als ob es erst gestern geschah. Und auch vor über einem Jahr bei der Überarbeitung begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich bekam Gänsehaut und furchtbare Panik stieg in mir auf. Zum Glück hat sich das jetzt geändert und ich kann mich mit einem erlösenden Gefühl daran erinnern.

 

„Das ist total krank“, redete ich mir damals ein und versuchte den Traum zu vergessen. Doch es gelang mir nicht, denn er wiederholte sich immer wieder.

Ich versuchte es zu verstehen und gab den anderen ‚bösen’ Mann den Namen Altai. Der passte einfach zu ihm. Leider wurde die Situation dadurch nicht besser. Zu der Zeit lernte ich, was Tagträume sind, weil ich mich unterbewusst damit beschäftigte. Sie verselbstständigten sich auf brutale Weise und bildeten ihre eigenen, kleinen Geschichten. Das war zu viel für mich und nur noch unheimlich!

Deswegen entschied ich mich mehr über Manuel zu erfahren, um es vielleicht so zu überwinden. Ich durchblätterte alte Zeitschriften, die ich hortete, fand aber nicht viel über ihn. Nur drei Poster, die ihren Platz an meiner Wand fanden. Auf einem stand sein Geburts- und Todesdatum. „Tja, so ist das Leben“, sagte ich mir und hakte die Sache damit endgültig für mich ab. Natürlich funktionierte es nicht, das wäre zu einfach gewesen. Sehr oft überlegte ich später, ob ich mir die über Jahre nachfolgenden Probleme doch irgendwie selber schuf, aber dann...

 

Viele Nächte träumte ich noch dieselbe Szene und es war immer sehr beängstigend und mit vielen, für mich unverständlichen, Gefühlen verbunden. Ich musste es jemanden erzählen und vertraute mich meiner besten Freundin an. Ihr Name war Jessica und wir gingen beide in eine Klasse.

Sie machte daraus eine große Sache, denn in dem Alter sah man das männliche Geschlecht langsam mit anderen Augen. Wir steigerten uns beide hinein, sodass es nicht lange dauerte, bis ich verliebt in ihn war.

Kurze Zeit darauf geschah etwas, dass unsere noch gesunde Einstellung zum Übersinnlichen zerbrechen ließ. Es war ein Mittwoch und wir mussten erst gegen Mittag in der Schule sein. Also legten wir uns auf mein Bett und schauten einen gruseligen Film. Der Schrank mit dem Fernseher war circa drei Meter von uns entfernt und auf ihm stand ein kleiner Glasvogel. Damals gab es noch keine Flachbildschirme, somit hatte er genügend Platz auf ihm.

Wir hatten sowieso schon große Angst, da flog plötzlich und mit einer Wucht der Vogel durch den Raum. Er landete direkt vor dem Bett. Ruckartig sprangen wir auf und starrten auf den Vogel. Unsere geschockten Blicke kreuzten sich und ließen uns schreien. Diesen Moment werde ich NIE vergessen! Wir brauchten lange um uns zu beruhigen.

Uns verwirrte dabei, dass der Vogel bis vor das Bett flog. Wir stellten es nach und das machte uns erst richtig Angst. Wir mussten ihn sehr kräftig anschubsen, damit er soweit flog. Einfach nur durch bloßes herunterfallen erreichten wir nicht annährend dasselbe Ergebnis.

Wir warfen alle nutzlosen Theorien über den Haufen und ich stellte den Vogel zurück auf den Fernseher. Er machte sich danach nie wieder selbstständig und steht auch jetzt nach über zwanzig Jahren noch brav im Regal.

 

Mein Rambo war ein wundervoller Wellensittich. Er war das Wichtigste in meinem Leben und ich schenkte ihm meine ganze Liebe. Natürlich redete ich mit ihm über die Vorfälle und die Träume. Er war ein guter Zuhörer und legte dabei immer seinen Kopf schräg. Danach fühlte ich mich beruhigter und frei. Die Zeit meiner nächtlichen Alpträume war nach dem Vorfall mit dem Glasvogel vorbei.

 

Es vergingen einige Monate und in unserer Schule stand eine Klassenfahrt bevor. Ich weiß nicht mehr wohin es ging, doch eine Nacht überschattete alles. Aus Bettmangel mussten wir uns ein Zwei-Bett-Zimmer zu viert teilen. Jessica und ich schliefen auf dem Boden. Im Zimmer waren noch Sandra und ein anderes Mädchen. Es regnete die ganze Zeit und uns war langweilig. Deshalb schlug Sandra vor, die Zeit mit Gläserrücken zu vertreiben. Logischerweise waren wir sofort begeistert. Wir hatten viel davon gehört und die Neugier überkam uns.

Den Tisch im Zimmer befreiten wir von unserem Gerümpel. Buchstaben, Zahlen, Ja und Nein bastelten wir mit Stift und Papier und verteilten es auf der Tischplatte. In die Mitte kam ein umgedrehtes Glas, das wir uns aus der Küche besorgt hatten. Zu viert setzten wir uns an den Tisch.

Wir nahmen uns an den Händen und Sandra beschwor laut einen Geist. Sie rief ihn einige Male und dann mussten wir auf ein Zeichen warten, welches schnell kam. Es knackte hinter Jessica und wir zuckten vor Schreck zusammen. Die Atmosphäre wurde unheimlich und wir bekamen Respekt vor dem, was da war.

Jeder von uns legte einen Finger auf das umgedrehte Glas und nacheinander stellten wir harmlosen Fragen.

Ich fragte: „wie mein erster Freund heißen würde“? Das Glas bewegte sich und gab das Wort ‚Abial’ von sich, mit dem ich überhaupt nichts anfangen konnte. Die ganze Zeit hätte ich schwören können, dass Sandra schiebt, bis Jessica ihre Frage stellte.

Sie wollte wissen: „wann ihre Oma sterben würde“? Wir brachen ab, bevor es zu einer Antwort kommen konnte, denn solche Fragen sollte man nicht stellen. Das Glas schob sich von allein weiter, obwohl wir unsere Finger weggezogen hatten. Sprachlos beobachteten wir es.

Heute weiß ich, wie das Schieben des Glases und auch das weiter schieben begründet werden kann. Die physikalischen Kräfte bewirken viel durch die Körperwärme der Finger. Dennoch sollte man es nicht einfach abbrechen, weil man NIE sicher sein kann, ob es nicht vielleicht doch noch andere Ursachen dafür gibt. Aber wir waren jung und hatten über diese Dinge kein Wissen.

Am schlimmsten war die darauffolgende Nacht. Ich hatte einen furchtbaren Alptraum. Ich sah mich, wie ich auf dem Boden schlief, auf dem Bauch liegend. Dabei stand ich neben meinem Körper, über dem ein Mann, mit einem langen Messer in der Hand, schwebte. Eine Zeit lang fixierte ich die Szene, bis ich auf meinen Unterschenkel etwas spürte. Voller Angst riss ich meine Augen auf und starrte in die Dunkelheit. Ich lag wirklich auf dem Bauch und traute mich nicht umzudrehen, falls der Mann dort immer noch war. Zitternd versuchte ich Jessica zu wecken.

Wir lagen uns gegenüber, Kopf an Kopf. Ich rüttelte an ihrem Arm und sagte immer wieder leise: „Jessica, werde bitte wach“. Mein Herz raste und endlich rührte sie sich.

„Was ist denn?“, murmelte sie leise.

„Ich habe Angst, irgendetwas ist über mir.“ Die Belastung auf meinem Bein wurde schwerer, als ich zu ihr sprach. Ich hielt ich es nicht mehr aus, machte einen Ruck und sprang ihr auf den Kopf.

„Macht Licht an!“, kreischte Jessica wütend und zappelte unter mir.

„Nein du gehst nicht weg!“, schrie ich und hielt sie fester.

„Sandra!? Mach Licht an!“ 

Schnell atmend kam es mir wie eine unerträgliche Ewigkeit vor, bis es hell im Zimmer wurde. Sandra begann laut zu lachen, als sie neben den Lichtschalter stand. Es muss ein tolles Bild gewesen sein, auch wenn Jessica und ich es zu diesem Zeitpunkt nicht lustig fanden. Später amüsierten wir uns darüber. Das, was da auf meinem Bein lag war nur die Decke von dem Mädchen, welches neben mir etwas erhöht schlief. Sie war ihr heruntergerutscht.

Trotz alledem war es grauenhaft, denn dieser vorhergehende Traum schien so echt. Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen. Heilfroh lag ich ein paar Tage später wieder zu Hause in meinem eigenen Bett.

 

Zwei Jahre später im Juli rüttelte uns ein Familienereignis auf. Bei meiner Mutti wurde Verdacht auf Gebärmutterkrebs diagnostiziert und sie kam sofort ins Krankenhaus. Nachdem sie die Operation gut überstand, wollte sie sich einen langgehegten Wunsch erfüllen – einen Hund. Wir besuchten viele Tierheime, denn es war schwierig einen zu finden, der uns gemeinsam gefiel. Meinem Bruder war es egal. Er war siebzehn Jahre alt und interessierte sich für andere Sachen.

In einem Tierheim gefielen uns gleich mehrere Hunde. Die Golden Retriever fand ich schön, aber sie waren viel zu teuer. Meine Eltern verliebten sich sofort in einen kleinen, beigefarbenen Mischlingswelpen. Es war ein Wurf mit vier Jungen. Die zwei hübschen Mädels hatten glattes hellbraunes Fell, waren aber leider schon anderweitig vergeben. Die beiden Jungs waren voller kleine Locken und ich fand sie hässlich.

Meine Eltern fanden den einen Jungen so niedlich, dass ich zustimmte. Drei Tage später holten meine Mutter und ich den kleinen Jack ab. Als ich ihn dann im Arm hielt, geschah es auch um mich und ich verliebte mich in das kleine Wollknäuel. Unser Leben drehte sich nur noch um ihn und selbst mein Bruder fand ihn so cool, dass Jack mit ihm um das Haus joggen durfte.

Das Glück kehrte zu meiner Mutti zurück. Beim einkaufen traf sie eine alte Schulfreundin. Ihr Mann hatte ein Geschäft eröffnet und suchte noch eine Sekretärin. Meine Mutter war zu dem Zeitpunkt fast sieben Jahre durchgängig arbeitslos. Mit Umschulungen hielt sie sich über Wasser und das war natürlich eine super Chance für sie, endlich wieder in das richtige Berufsleben einzutreten. Sie begann bei ihm, sein Name war Markus, zu arbeiten.

Natürlich hatten wir dadurch ein Problem mit Jack. Er war es nicht gewohnt allein zu Hause zu bleiben. Mein Bruder fing eine Ausbildung an und war den ganzen Tag nicht da. Mein Vater war wegen seiner Arbeit genauso wenig vorhanden und meine Mutti arbeite von 9:00 -17:00 Uhr. So blieben nur noch meine Großeltern übrig.

Meine Oma hatte immer panische Angst vor Hunden, eigentlich vor allen Tieren. Selbst bei meinem Rambo warf sie sich auf den Boden, wenn er über ihren Kopf hinweg flog. Sie verliebte sich zum Glück sofort in Jack. Somit war es für meine Mutti leichter, sie zu fragen, ob sie auf ihn aufpassen würden. Mein Opa holte ihn früh ab und nach der Schule ging ich bei ihnen essen und nahm Jack wieder mit.

Inzwischen ging ich in die achte Klasse und mein Kontakt zu Jessica verschlechterte sich, weil wir unterschiedliche Interessen bekamen. Dadurch holte ich oft meine Mutti von der Arbeit ab und verbrachte viel schöne Zeit mit ihr. Immer wenn ich sie auf Arbeit anrief und Markus am Hörer war, konnte ich mir den gleichen Spruch mit spaßiger Stimme anhören: „was willst du denn schon wieder?“ Ich fühlte mich wohl auf ihrer Arbeitsstelle und besuchte sie gern in den Pausen.

Mit Jessica verstand ich mich danach langsam wieder besser. Wir fanden eine neue Gemeinsamkeit, die uns beiden Spaß machte – wir gingen zu Eishockeyspielen. Es half mir sehr mit dem Thema der Alpträume und Manuel abzuschließen und ich konnte auch mal ein Auge auf andere Jungs werfen. Leider war ich viel zu schüchtern und es blieb bei Blickkontakten. Ich ertappte mich, wie ich mich zwischendurch in der Liebe zu Manuel verrannte. Es war leicht einen Toten zu lieben. Er konnte mich nicht enttäuschen, so wie ich es oft bei anderen Beziehungen sah.

Und dann war da noch das Gefühl, als würde eine Hand durch meine Haare streicheln. Im Unterricht, in der zweiten Klasse, bemerkte ich es zum ersten Mal bewusst. Ich dachte: „jemand steht hinter mir“ und drehte mich sofort um, aber da war niemand. Mit sieben Jahren ängstigte es mich. Ich traute mich nicht, Jessica oder meinen Eltern davon zu erzählen - ausgenommen Rambo, er kannte jedes Geheimnis von mir.

Da dieses unsichtbare Streicheln regelmäßig vorkam, wurde es für mich zur Normalität. Es war egal, ob ich allein war oder nicht, auch irrelevant wo ich war. Es gab keine Zusammenhänge.

 

Zwei weitere Jahre vergingen und ich durchlief die zehnte Klasse. So langsam musste ich mir eine Lehrstelle suchen, nur, was wollte ich werden? Vorher absolvierte ich zwei Schulpraktika, um diese Frage beantworten zu können und entschied mich für eine Lehre in einem sozialen Beruf. Vier Bewerbungen schrieb ich und bekam Termine für drei Vorstellungsgespräche.

Eins davon war in einer kleinen Stadt, eine Stunde von meiner Heimatstadt entfernt. Es wurde eine Halbabsage, obwohl mein Bauchgefühl besseres meinte. Das bedeutete, wenn ein Anderer abspringt, würde ich nachrücken. Jessica bewarb sich ebenfalls dort und bekam die Stelle sofort, was mich sehr für sie freute. Meine Eltern und Markus bedauerten es sehr, dass es bei mir nicht klappte und auch die anderen Gespräche verliefen im Sande.

Unsere letzte Klassenfahrt stand kurz bevor. An dem Dienstag davor wurde ich noch mit Zusatzsport gequält und kam erst 17 Uhr nach Hause. Gestresst lief ich durch die Wohnung und suchte meine Mutti. Wir wollten mein erstes, eigenes Konto eröffnen und um 18 Uhr schloss die Bank. Ungeduldig zog ich meine Bahnen im Flur.

Der Schlüssel drehte sich in der Tür und ich lief zu ihr. Sie sagte nichts, schaute mich traurig aber gefasst an. Eigentlich war sie noch im Schockzustand, wie ich später feststellte, denn sie erzählte mir ganz locker: „dass Markus am Vormittag gestorben war“.

Er bekam einen Herzanfall und fiel einfach vom Stuhl. Dabei telefonierte er noch und im nächsten Moment war er tot. Ungläubig schaute ich meine Mutti an. Tränen schossen mir in die Augen, ich konnte es nicht fassen!

Danach verlief alles, wie in einem tranceähnlichen Zustand. Wir sind sogar noch mein Konto eröffnen gegangen und haben einen Kontoauszug mit diesem Datum ausgedruckt. Meine Mutter vergoss die ganze Zeit keine Träne, das war mir sehr unheimlich.

Am selben Tag gegen 22 Uhr sah ich nach ihr. Mein Vater war gerade mit Jack draußen und sie stand auf dem Balkon und weinte. Ich nahm sie in den Arm und sie erklärte mir: „dass sie gerade den Gedanken hatte zu springen, denn wie sollte es jetzt für sie weitergehen?“. Sie konnte sich nicht mehr beruhigen und auch ich begann zu weinen, mehr geschockt von ihrer Aussage. Noch nie zuvor erlebte ich sie in so einem grauenhaften Zustand und auch später, bei den anderen Ereignissen, war sie nie so schlimm drauf. Sie bekam graue Haare und sah noch Jahre später furchtbar traurig aus.

Die Woche wurde zum reinsten Horror. Mir verging das Sprechen und ich vertraute mich nur Jessica an, damit sie mich in Ruhe ließ. Am Freitag erfuhren wir, wann wir uns am Montag treffen, wegen der Klassenfahrt. Als ich nach Hause kam, war meine Mutti schon da. Sie sagte mir: „dass die Beerdigung von Markus am kommenden Mittwoch sein sollte“.

„Was so schnell?“ Verwundert dachte ich an meine Uroma und meinen anderen Opa. Denn als sie starben verging fast ein Monat bis zu der Beisetzung. Ich sagte ihr: „dass ich dabei sein will und nicht auf Klassenfahrt möchte“! Wir stritten und sie gewann.

Widerwillig setzte ich mich am Montagmorgen in den Bus. Immer wieder bekam ich Weinkrämpfe, die Woche war sehr schlimm. Vor zwei Jahren hielt ich es noch für einen großen Fehler, dass ich nicht bei seiner Beerdigung war. Ich konnte mit seinem Tod nicht abschließen, weil mir dieses letzte, menschlich wichtige Erlebnis fehlte. Auch das hat sich jetzt zum Glück geändert.

 

Meine Grundeinstellung änderte sich nach seinem Tod. Ich plante nicht mehr weit vor, weil es ja so schnell vorbei sein kann. Von einer Sekunde auf die nächste kann sich das ganze Leben ändern.

Meine Mutti bekam die Kündigung wegen Schließung und das machte sie total fertig. Wenige Tage später kam plötzlich die Zusage für meine Ausbildung. Ich fand es furchtbar, dass Markus es nicht mehr miterleben konnte und fand Trost darin, es seinem Grabstein zu erzählen.

Nachdem ich meinen Vertrag unterzeichnete und eine Wohngemeinschaft fand, machten wir uns Gedanken um Rambo. Ich wäre dann nur noch am Wochenende zu Hause gewesen und so lange wollte ich ihn nicht allein lassen. Deswegen kauften wir Ende April einen zweiten Wellensittich. Er war grün und ich nannte ihn Hansi. Für Rambo war der neue Vogel mehr Qual als Segen. Es dauerte lange bis sie sich gut verstanden, aber dadurch war er wenigstens nicht einsam.

Mutti und ich verbrachten viel Zeit miteinander. Die Prüfungen standen kurz bevor und ich verfügte über viel Freizeit. Oft gingen wir baden und ich lernte nebenbei den ganzen Stoff. Mit viel Büffelei bestand ich alle Prüfungen und die Abschlussfeier rückte näher. Leider musste mein Vater auf Montage, also lud ich meinen leiblichen Vater ein.

Er verließ meine Mutti, da war ich noch ein Baby. Zu Geburtstagen, Ostern und Weihnachten ließ er sich blicken. Unser Verhältnis war nie besonders gut und ich dachte mir: „was nicht ist, kann ja noch werden“. Es wurde ein sehr schöner Abend und wir Schüler versprachen uns, ein Klassentreffen zu machen, das zwei Jahre später stattfand. Wir verstanden uns alle super und waren traurig, unterschiedliche Wege zu gehen. Das gibt es ja leider nicht allzu oft.

 

Im September begann die Ausbildung für Jessica und mich. Wir wohnten in einer WG mit noch drei anderen Mädchen. Die Monate verliefen reibungslos und wir alle wurden Freundinnen. Es war eine super schöne Zeit.

Fast ein Jahr später, im Juni, geschah etwas Wunderbares. An einem Samstag surften Jessica und ich durch das Internet eines Internetcafès und redeten mit vielen Jungs. Einer von ihnen hieß Sebastian, er wohnte in Berlin.

Zuerst schrieb er mit Jessica, doch ihr wurde er schnell langweilig. Also übernahm ich ihn, weil er eine Art besaß, die mich neugierig machte. Im Internet verlor ich jede Schüchternheit, denn es war viel einfacher als draußen auf der Straße. Es blieb nicht bei dem Abend. Wir schrieben uns jedes Wochenende und einige Zeit später nahm ich all meinen Mut zusammen und rief ihn an. Es war ein sehr nettes Gespräch und von da an telefonierten wir auch unter der Woche.

Ich wusste sofort, den möchte ich sehen. Berlin war nur zwei Stunden von uns entfernt, deswegen setzte ich mich todesmutig einen Monat später in den Zug und fuhr zu ihm. Meine Eltern und sogar mein Bruder waren davon natürlich nicht begeistert und wenn ich so daran zurückdenke, war es schon ganz schön verrückt und unvernünftig.

Es war ebenfalls ein Samstag, als ich auf dem verabredeten Bahnhof stand. Durch unsere detaillierten Beschreibungen fanden wir uns schnell. Mir fielen seine lieben, braunen Augen auf und sein niedliches Lächeln war herzerwärmend. Mein Gefühl sagte mir sofort, dass er der Richtige sei. Die Monate zuvor hatte ich schon einige Verabredungen, aber bei keiner übermannte mich diese Erkenntnis.

Ich stieg in sein Auto, weil wir noch 30 Minuten bis zu ihm nach Hause fahren mussten. Meiner Mutter versprach ich, eine SMS zu schreiben, damit sie wusste, dass es mir gut ging. Am Ende des Satzes hatten wir ein Geheimwort vereinbart – M.N, die Initialen von Markus.

Als wir bei ihm ankamen, stellte er mich seinen Eltern vor. Er wohnte noch bei ihnen und auch sie waren total freundlich. Ein echter Glücksfall.

Nachdem uns seine Mutter Essen auftischte, fuhren wir zu einem See um einen langen Spaziergang zu machen. Es war ein schöner Tag, der viel zu schnell verging. Wir redeten viel und verliefen uns dabei. Plötzlich standen wir mitten in einer Hochzeitsfeier, gratulierten dem Brautpaar und suchten sein Auto. Wir liefen die ganze Nacht und es wurde wieder hell, als wir es endlich fanden. Müde fuhren wir zurück zur Wohnung und er ließ sich sofort erschöpft in sein Bett fallen. „Toll“, dachte ich mir. „Und wo schlafe ich jetzt?“ Lange konnte ich nicht darüber nachdenken. Sein Bett war groß, also ließ ich mich neben ihn fallen.

Gegen elf Uhr öffnete ich meine Augen und sah in seine. Erneut spürte ich, dass wir sehr gut zusammenpassen und wollte ihn so schnell wie möglich wiedersehen. Darüber freute er sich sehr.

Um 15 Uhr verabschiedeten wir uns vom Bahnhof mit einer traumhaften Umarmung. Wieder zurück bei meinen Eltern, wurde ich genauso ausgequetscht, wie später in der WG von Jessica.

Dabei erinnerte ich mich an einen Traum, den ich wenige Monate zuvor träumte. Ich lief durch die Straßen und ein Mann kam mir entgegen. Er trug eine Weste mit einem komischen Muster und ich schaute in sein Gesicht. Sebastian trug Samstag auch eine Weste mit demselben Muster und hatte eine starke Ähnlichkeit mit dem Mann aus diesem Traum. Ich tat es als Blödsinn ab. So etwas konnte nicht möglich sein!?

Zu dieser Zeit begannen wieder meine Alpträume. Von allem Möglichen wurde ich geplagt, es war furchtbar. Viele Nächte lag ich wach da und zitterte am ganzen Körper. Die WG besaß drei Doppelstockbetten und eine Freundin lag ebenfalls oft unruhig in ihrem Bett. Sie bot mir an, bei ihr zu schlafen, wenn es ganz schlimm war. Das taten wir einige Male und es beruhigte mich, weil jemand neben mir lag.

Nach dem Tod von Markus bekam meine Mutter eine ABM. Eine Kollegin erzählte ihr: „dass es 15 Minuten entfernt einen kleinen Ort gab, in dem man sich eine Wohnung mit Garten mieten konnte“. Das taten sie prompt und es war herrlich dort zu sein. Jedes Wochenende war wie Urlaub. Mein Bruder und ich teilten uns ein Zimmer, was okay war, weil auch er nur noch selten da war. Er schloss seine Ausbildung ab und ging danach auf Montage.

Auch für Jack war es dort traumhaft. Er hopste gern durch das Feld und in der Umgebung waren viele Seen, sodass er im Sommer mit meinen Eltern jeden Tag baden konnte. Mein Vater wurde arbeitslos, deswegen konnte er sich um ihn kümmern, wenn meine Mutti auf Arbeit war. Rambo und Hansi fanden es auch toll. Sie standen im Wohnzimmer und wenn es das Wetter zuließ, draußen auf dem Balkon.




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